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Dienstleistung – Der Kunde frisiert das Ergebnis mit.

Foto: Shutterstock

Der Hersteller eines Schokoriegels oder eines Staubsaugers entwickelt und produziert ein Produkt. Und dabei bestimmt alleine er dessen Qualität. Anders sieht es im Bereich von Dienstleistungen aus. Denn dort hat auch der Kunde – je nach Art der Leistung – mehr oder weniger Einfluss auf das Ergebnis.

Das Kniffelige für den Dienstleister: ER verantwortet am Ende das Ergebnis.
Dazu zwei Gedankenwirbel, die mir aus dem Kopf wuchsen, während das Haarkleid dazu frisch getrimmt wurde …

Gedankenwirbel 1: Einschneidende Erfahrungen.

Ich habe Haare auf dem Kopf und das ist gut so. Aber ich hänge nicht an jedem Zentimeter. Wann immer ich auf einem Friseurstuhl gefragt werde „Was kann ich für Sie tun?“, antworte ich: „Machen Sie, was Sie für richtig halten!“.

Ergänzend äußere ich zwei konkrete Wünsche zum Schnitt:

  1. Mindestlänge zum Zusammenbinden: egal, wie kurz oder lang der Pinsel hinten dann ausfällt.
  2. Unkomplizierte Handhabung: kein Tamtam mit Lockenstab und aufwändigem Styling. Föhnen und gut (aussehen).

Nicht jeder, der hinter meinem Friseurstuhl steht, kommt mit diesem Freiraum klar. Oft herrscht Unsicherheit, wird zaghaft nachgeschnitten, was augenscheinlich vor einigen Monaten vorgeformt wurde. Aber hin und wieder stoße ich auf Augenkontakt im Spiegel und ein Lächeln, wenn die Ernsthaftigkeit meines Auftrages erkannt wird. Ich werde beraten, ich lasse geschehen. Ich verlasse den Salon mit einem neuen Schnitt. Blond oder brunett, kinn- oder anderslang. Elegant und glatt oder frech und fransig … oft vollkommen überraschend, aber meistens wunschgemäß und gut. So habe ich im Laufe der Jahre erstaunlich viele Frisuren an mir kennengelernt, die eine komplett andere Wirkung haben und trotzdem stimmig sind und (zu) mir passen.

Was dann oftmals geschieht: Auftritt mit neuem Erscheinungsbild im Bekanntenkreis. Auslösung von Begeisterung bei einer Freundin. Frage nach dem verantwortlichen Friseur. Vermittlung. Selbige Freundin kehrt dann eines Tages von meinem Friseur zurück, und sieht mehr oder weniger genauso aus wie vorher. Außer, dass ihre Mundwinkel tiefer nach unten hängen.

Warum? Auf Nachfrage bei ihr oder beim Friseur erschließt sich mir dann: Sie hat nicht „machen lassen“, sondern „selbst gemacht“. Mithilfe einer dritten, geführten Hand. Sie hat nicht gesagt, welche Wirkung oder Ziele sie für sich wünscht, sondern haargenau angewiesen, was gemacht werden soll. „Bitte nicht zu viel, am besten nur die Spitzen.“ „Wieder das Blond, das man noch sieht.“ „Auf keinen Fall ein Pony schneiden, das hat mir noch nie gestanden!“ …

Oder aber, sie hat trotzig die gleiche Frisur eingefordert, die ich trage (oder die eines anderen auserwählten Kopfes aus einem Modemagazin). Die Einsicht, dass dieselbe Frisur nicht jedem Typ steht? Fehlt! Die Typberatung des Friseurs wird entweder gar nicht eingefordert oder – sofern sie erfolgt – ignoriert und abgewürgt. Am Ende? Enttäuschung. „Sieht ja gar nicht so aus wie bei der anderen!“ Oder eben: „Sieht ja aus wie vorher!“ Und wer trägt die Schuld? … Haarsträubend!

Diese Freundinnen wechseln in der Regel stetig den Friseurstuhl und … bleiben unzufrieden.

Gedankenwirbel 2: Haarspalterei zwischen Fiktion und Wirklichkeit.

Angenommen, die Kundin lässt sich nun professionell beraten und auf die Empfehlungen des Friseurs ein.

Was wäre wenn …

… sie dann aber zwischendrin immer mal wieder vom Stuhl aufspringt und zu anderen Kunden im Salon rennt, um sich deren Meinungen über das Zwischenergebnis einzuholen? Zurück kommt sie dann mit einer Sammlung von Meinungen, kritischen Äußerungen und neuen Ideen. Mit der Bitte, das ein oder andere davon doch bitte noch einfließen zu lassen …

Oder wenn …

… die Kundin mittendrin selbst die Schere zur Hand nimmt, um den ein oder anderen Schnitt anzusetzen? Zugegeben, das passiert dem Friseur vermutlich selten, weil der Ungelernte sich in der Regel nicht zutraut, Haare selbst zu schneiden. Anders ergeht es da dem Grafiker oder Werbetexter (zeichnen und reimen kann ja jeder ein bisschen … nicht wahr?).

In beiden Fällen hat der Friseur keine Chance, die Frisur, die er beraten hatte, sauber auf den Kopf der Kundin zu bringen. Ein heikler Entscheidungsmoment für den Dienstleister. Geld nehmen, machen und mitmachen, was Kundin in ihn hinein spricht? Oder am stringenten Konzept festhalten und trotzen? Was verlässt den Friseursalon? Und wer wird mit dem Ergebnis in Verbindung gebracht? … Geschnitten!

2 Strähnen zum Businessknoten gebunden:

Der Kunde frisiert das Ergebnis also mit – an zwei neuralgischen Punkten des Dienstleistungsprozesses: beim Briefing und während des Entstehungsprozesses der Leistung.

Haarsträubend wird es dann, wenn …

Ein Kunde sollte zu- und loslassen können. Sich darauf einlassen und vertrauen, dass hinter ihm ein Profi steht (vorausgesetzt es ist einer!), der sein Handwerk versteht und richtige Entscheidungen im Sinne der Kundenwünsche trifft. Und sich dann (natürlich positiv) überraschen lassen.

Denn: Es gibt nicht nur eine Frisur, die zu einem Gesicht passt. Verschiedene Wege und Ergebnisse können gleiche Ziele erreichen. Aber auch: Die Frisur, die dem einen steht, passt nicht zwangsläufig zum anderen Gesicht. Und: Das Ergebnis einer Frisur kann ich erst am Ende beurteilen, wenn die Farbe drin, der Schnitt geschnitten und das Haar geföhnt ist.

Von eigenen Pech- und Glückssträhnen.

Am Anfang meiner Selbstständigkeit traute ich mich nicht, die Kunden aufzugeben, die anstelle einer ehrlichen und markenstrategischen Beratung nur den „verlängerten Arm“ und das bestätigende Kopfnicken suchten. Welcher Freelancer kann sich das schon leisten?

Am Ende ärgerte ich mich dann aber über unprofessionelle Ergebnisse, die in kräfte- und nervenzehrenden Prozessen entstanden sind – und in Verbindung mit meinem Namen auf den Markt gefunden haben.

Meinen ersten Kunden dieser Art „kündigte“ ich anno 2005. Das Unternehmen war zu diesem Zeitpunkt der Kunde mit dem größten Jahresbudget in meinem Portfolio. Dieser Schnitt tat wirtschaftlich weh. Mir persönlich tat er gut. Kurzfristig, indem ich wieder zu mehr Energie und Freude in meinem Job fand. Langfristig, indem meine Arbeit und die daraus resultierenden Referenzen vermehrt die Kunden anziehen, die genau das suchen, was ich auch sein möchte – einen markigen Mitstreiter an ihrer Seite statt eines hörigen Handlangers im sporadischen Zugriff.

PS: Es ist mir bewusst, dass es Kunden auf der anderen Seite dieses Prozesses gibt, die genau das tun, dann aber von Dienstleistern enttäuscht werden, die sich als reine „Handlanger“ aufführen und keinen Mehrwert bieten. Solche wollen oder können dann nicht anders! (Das waren die Friseure, die trotz gestalterischen Freiraums immer nur nachgeschnitten haben, was Vorgänger „angelegt“ hatten oder auf meine genauen Anweisungen warteten …)

PPS: Als ich vor zwei Jahren meine heutige Friseurin für mich entdeckt hatte – eine kluge und aufmerksame Beraterin und eine ebenso routinierte wie leidenschaftliche Handwerkerin – strahlten wir am Ende beide beim Anblick des Ergebnisses. Es ist erstaunlich, was man erreichen und bekommen kann, wenn jemand, der will und kann auch darf. Damals fragte ich beim Bezahlen noch einmal nach ihrem Namen: „Felice“ – die Glückliche!